Gebannt blicken die Anwesenden auf das lose Gestein am Boden des Tunnels unter dem Fernmeldeturm auf dem Titlis. Es kracht und knistert im Fels, dann beginnen sich die Steine wie von Geisterhand zu bewegen – und ein fussballgrosser Bohrkopf bricht sich rotierend durch die Oberfläche. Jubel bricht aus auf 3000 Metern über Meer. Der Durchbruch ist geschafft.
Rund 9 Monate hat das Vorhaben gedauert: Von der Talstation des 150 Höhenmeter weiter unten gelegenen «Ice Flyer»-Sessellifts aus wurde mittels GPS-Steuerung ein fast 800 Meter langes Bohrloch in den Kalkstein gefräst, tief unter dem Gletscher hindurch, bis unter den Fernmeldeturm. Realisiert hat es die am Bodensee beheimatete Schenk AG, die auf Horizontalbohrungen dieser Art spezialisiert ist. «Werkleitungen in einen Gletscher zu legen, der sich bewegt, ist nicht möglich», erklärt Bohrmeister Patrick Angst im Video-Bautagebuch. «Deshalb haben wir das Loch unter dem Eis hindurch gebohrt, um die Sicherheit zu gewährleisten.»
Das dünne Bohrloch wird nun geräumt und ausgespült, bis es dick genug ist, um verschiedene Leitungen zu fassen, welche die geplanten Neubauten auf dem Gipfel dereinst mit Frischwasser, Strom und Daten versorgen sowie an die Kanalisation anschliessen sollen. Heute wird der Strom über eine 50 Jahre alte, im Permafrost verankerte Freileitung auf den Titlis transportiert, für die Wasserversorgung musste sogar eine Kläranlage auf dem Gipfel gebaut werden. «Die neue Leitung ist eine riesige Erleichterung, sie wird den Betrieb auf dem Gipfel vereinfachen», sagt Titlis-CEO Norbert Patt.
Die Verlegung der neuen Stromleitung auf den Titlis ist ein gemeinsames Projekt der Titlis Bergbahnen und des Kantonalen Elektrizitätswerks Nidwalden (EWN). Die Arbeit auf dem Gletscher sei eine nicht zu unterschätzende Herausforderung, betont Ivo Häfliger, Leiter Netz beim EWN: «Nur schon die Aufgabe, Baumaschinen auf 2850 Meter über Meer zu transportieren, ist logistisch anspruchsvoll, hinzu kommen geologische Herausforderungen und natürlich das Wetter.»
Stolz ist man beim EWN, dass man mit dem Projekt auch einen Teil zum Landschaftsschutz und zur Nachhaltigkeit des Gipfelbetriebs beitragen kann: Die Freileitung, die parallel zum Sessellift über den Gletscher führt, soll in den kommenden Jahren rückgebaut werden. Und dank der unterirdischen Leitung wird es möglich sein, die Ölheizung auf dem Gipfel durch eine moderne Wärmepumpe zu ersetzen.
Die neue Leitung dürfte noch diesen Sommer in Betrieb genommen werden. Damit ist ein erster Meilenstein im bis 2029 dauernden Projekt TITLIS erreicht, in dessen Rahmen auf dem Titlis Weltklasse-Architektur für kommende Generationen entsteht. Bis Ende Jahr soll die neue, einspurige Pendelbahn zwischen Stand und Titlis eröffnet werden, bis 2026 wird der neue Aussichtsturm fertiggestellt. Die neue Bergstation soll 2029 eröffnet werden.
Alle Informationen zur ikonischen Architektur von Herzog & de Meuron auf dem Gipfel findest du hier.